Reisen muss nicht zwangsläufig mit Überkonsum und schnelllebigen Erlebnissen einhergehen. Angesichts der sich verschärfenden Klimaprobleme und dem Überlebenskampf vieler lokaler Gemeinschaften gewinnt ein neues Konzept zunehmend an Bedeutung: der regenerative Tourismus. Diese Herangehensweise geht über traditionelle Nachhaltigkeit hinaus, indem sie nicht nur Schäden minimiert, sondern aktiv die natürlichen Ressourcen, regionale Wirtschaftskreisläufe und soziale Strukturen stärkt. Für Unternehmen in der Reisebranche eröffnen sich dadurch spannende Chancen; für Reisende birgt es die Möglichkeit, intensivere und bedeutsamere Erfahrungen zu machen.
In diesem Beitrag untersuchen wir, wie sich regenerative Ansätze von gängigen „grünen“ Strategien unterscheiden, wo sie bereits Anwendung finden – sowohl weltweit als auch hier in Schweden – und welchen Nutzen sie für Unternehmen und Organisationen haben können. Darüber hinaus beleuchten wir die Herausforderungen und erläutern, wie diese überwunden werden können, mit dem Ziel, einen Tourismussektor zu schaffen, der nicht nur überlebt, sondern aktiv zu einer gesünderen Umwelt und resilienten Gemeinschaften beiträgt.
Kontext: Warum braucht es ein neues Tourismusmodell?
Der Tourismus zählt zu den größten Wirtschaftszweigen der Welt und trägt maßgeblich zum Bruttoinlandsprodukt und zur Beschäftigung in vielen Ländern bei. Doch mit großer Macht geht auch Verantwortung einher. Klimawandel, Raubbau an natürlichen Ressourcen und der soziale Druck auf lokale Communities sind nur einige der negativen Auswirkungen, die immer stärker zutage treten. Gleichzeitig sind es häufig die ortsansässigen Akteurinnen und Akteure, die zuerst unter Wasserknappheit oder dem Verlust wertvoller Ökosysteme leiden.
Lange Zeit galt nachhaltiger Tourismus als vielversprechende Lösung: Man wollte den Energieverbrauch in Hotels senken, traditionelle Kulturen schützen und empfindliche Ökosysteme erhalten. Doch viele Expertinnen und Experten betonen mittlerweile, dass dies allein nicht ausreicht. Wir benötigen ein Modell, das mehr leistet als bloß Schadensbegrenzung, nämlich einen Netto-Gewinn für die von uns bereisten Orte erwirkt. Genau hier setzt der regenerative Tourismus an.
Die COVID-19-Pandemie wirkte wie ein Katalysator: Da internationale Reisen nahezu zum Erliegen kamen, musste die Branche grundlegend über Wirtschaftlichkeit, Anpassungsfähigkeit und den Gedanken eines „besseren Wiederaufbaus“ nachdenken. Der regenerative Tourismus entwickelte sich dabei als konkrete Antwort auf die drängende Frage: „Wie können wir reisen, ohne nur geringer zu schaden, sondern tatsächlich einen positiven Beitrag zu leisten?“
Kernprinzipien des Regenerativen Tourismus
- Aktive Wiederherstellung
Anstatt bloß negative Folgen zu verringern, zielt der regenerative Tourismus auf die Verbesserung der lokalen Ökosysteme: Aufforstung, Wiederansiedlung einheimischer Arten, Wiederherstellung von Feuchtgebieten oder anderen wertvollen Lebensräumen. - Lokale Teilhabe
Die Menschen vor Ort sollen keine bloßen Statistinnen sein, sondern die Reiseangebote aktiv mitgestalten – und am Gewinn beteiligt werden. Häufig spielen Genossenschaften oder Non-Profit-Organisationen hierbei eine Schlüsselrolle. - Soziale Gerechtigkeit
Von indigenen Völkern bis hin zu Kleinstbetrieben: Alle sollen profitieren. Fair entlohnte Arbeitsplätze, gleichberechtigte Mitspracherechte und die Wertschätzung traditioneller Praktiken ermöglichen eine lebendige, selbstbestimmte Kultur. - Langfristige Resilienz
Vor dem Hintergrund eines instabilen Klimas und wirtschaftlicher Unsicherheiten ist Widerstandsfähigkeit entscheidend. Regenerativer Tourismus will ökonomische, ökologische und soziale Strukturen stärken, damit sie künftigen Belastungen besser standhalten. - Bildung und Bewusstsein
Damit dieses Modell wirksam wird, braucht es Wissen. Gäste, Unternehmen und lokale Gemeinschaften sollen verstehen, warum und wie man Natur und Gesellschaft aktiv etwas zurückgibt.
Internationale Beispiele: Von Amazonien bis Neuseeland
Guyana
Im Dorf Rewa im Landesinnern betreiben indigene Communities eigene Ecolodges. Hier erleben die Gäste traditionelle Lebensweisen aus erster Hand und helfen mit bei Artenschutz-Projekten. Die Einnahmen fließen in Schulbildung, Infrastruktur und weitere Schutzmaßnahmen, was den Tourismus zu einem Impulsgeber für eine positive Entwicklung macht.
Mexiko
Die Organisation Via Orgánica zeigt, wie ausgelaugte Böden sich durch agrarökologische Methoden regenerieren lassen. Reisende können an Workshops teilnehmen, die sich mit Bodengesundheit und Ökosystemmanagement befassen, wodurch das erworbene Wissen in andere Regionen getragen wird.
Neuseeland
Die Tiaki Promise ist ein landesweiter Aufruf, die Natur und Kultur Neuseelands zu respektieren. Dahinter stecken konkrete Handlungsanleitungen: Minimierung des eigenen Fußabdrucks sowie die Wahl verantwortungsvoller Angebote. Weit mehr als nur eine PR-Kampagne, soll dieses Programm das Bewusstsein aller Reisenden schärfen.
Globale Organisationen
- Regenesis Group: Baut auf einem „Living Systems Thinking“-Ansatz auf, der zugleich Ökosysteme und Gemeinschaften stärkt.
- Regenerative Travel: Bündelt Unterkünfte und Projekte weltweit, die sich aktiven Schutz- und Wiederherstellungsmaßnahmen verschrieben haben – ein Vorbild für Unternehmen und eine Orientierung für umweltbewusste Reisende.
Schweden als Nährboden für Regenerative Ideen
Schweden ist durch sein traditionell starkes Umweltbewusstsein, seine ausgeprägten sozialen Strukturen und seine vielfältigen Landschaften prädestiniert dafür, den regenerativen Tourismus voranzutreiben. Von kleinen Natur-Lodges bis hin zu regionalen Kooperationsprojekten wächst das Interesse an dieser Reiseform stetig.
Granö Beckasin (Västerbotten)
Hier übernachten Gäste beispielsweise in Baumhäusern und beteiligen sich an Aufforstungsprojekten. Durch ihr Engagement unterstützen sie aktiv die Stabilisierung lokaler Ökosysteme; zugleich werden neue Jobs geschaffen und das Selbstverständnis der Region gestärkt.
Gotland Green Tours
Auf der Ostseeinsel Gotland kooperiert man eng mit lokalen Erzeugern und Handwerksbetrieben, wobei sich viel auf das Fahrrad als Fortbewegungsmittel stützt. Dies reduziert den Autoverkehr, fördert die lokale Wirtschaft und ermöglicht echte Begegnungen zwischen Gästen und Gastgebern.
Weitere schwedische Initiativen
- NorReg (Nordic Regenerative Tourism): Unterstützt kleinere Betriebe bei der Umsetzung regenerativer Praktiken im Alltagsgeschäft.
- ReTour (Regenerative Tourism): Ein Projekt von Visit Skåne mit dem Ziel, saisonale Auslastung zu glätten und ein nachhaltig wachsendes Tourismusangebot zu etablieren.
- REGGAE (Regenerative Nature Tourism): Ein Kooperationsprogramm zwischen Västerbotten (Schweden) und Österbotten (Finnland), das biologische Vielfalt fördert und lokale Strukturen stärkt.
Chancen und Stolpersteine für die Tourismusbranche
Unternehmen, die sich in Richtung regenerativer Tourismus entwickeln, gewinnen nicht nur ein umweltfreundliches Image, sondern erschließen einen wachsenden Markt an bewussten Reisenden. Allerdings sind reale Hindernisse zu berücksichtigen – sowohl wirtschaftlicher als auch organisatorischer Natur.
Aufklärung und Qualifizierung
Zahlreiche Hoteliers, Reiseveranstalter und Guides kennen die Grundsätze des regenerativen Tourismus noch nicht im Detail. Genau deshalb sind Fortbildungen, Seminare und Netzwerk-Events entscheidend, um aus einer allgemeinen Idee ein klares Handlungsmodell zu formen – sei es für die Betreiberin eines Ferienhauses, den Outdoor-Abenteuer-Anbieter oder ein kleines Restaurant vor Ort.
Finanzielle Hürden
Wiederaufforstung, Aus- und Umbau von Radwegen oder die Umstellung auf erneuerbare Energien kosten Geld. Kleinbetriebe oder lokale Initiativen verfügen oft nicht über große Rücklagen. Öffentliche Zuschüsse, Partnerschaften mit NGOs oder Crowdfunding-Kampagnen sind daher beliebte Wege, um Kapital zu beschaffen. Bereits klein angelegte Pilotprojekte können den Einstieg erleichtern.
Strukturen und Richtlinien
Wie in vielen anderen Ländern agiert auch der schwedische Tourismussektor teils sehr fragmentiert. Zur breiten Umsetzung eines regenerativen Ansatzes braucht es eventuell übergeordnete Konzepte oder Zertifizierungen, ähnlich wie LEED bei Gebäuden oder MSC bei Fischereien. Solche Rahmenbedingungen fördern gemeinsame Ziele und machen Fortschritte vergleichbarer.
Was unterscheidet Regenerativen Tourismus von Nachhaltigkeit?
- Nachhaltiger Tourismus zielt darauf ab, negative Einflüsse zu dämpfen und ein Gleichgewicht zwischen ökologischen, ökonomischen und sozialen Faktoren zu schaffen.
- Regenerativer Tourismus geht einen Schritt weiter und strebt einen „Netto-positiven Effekt“ an, sodass Natur und Gesellschaft am Ende stärker dastehen als zuvor.
Ein beispielhaftes Hotel, das sich „nachhaltig“ nennt, reduziert vielleicht den Wasserverbrauch, gewinnt Ökostrom und betreibt Mülltrennung. Ein „regeneratives“ Hotel könnte hingegen zusätzlich einheimische Pflanzen auf dem Grundstück kultivieren, Gäste in Renaturierungsprojekte einbinden und Fördergelder in soziale Projekte vor Ort stecken. Jeder Aufenthalt steigert dadurch die Lebensqualität von Mensch und Natur gleichermaßen.
Von der Theorie zur Praxis: Handlungsempfehlungen
- Bedarfe und Potenziale analysieren
Welche Biotope und Kulturgüter vor Ort benötigen Wiederbelebung, und welche Ressourcen sind bereits vorhanden? Beispielsweise könnten vernachlässigte Moore, alte Streuobstwiesen oder fast vergessene Handwerkskünste wiederbelebt werden. - Lokale Akteure einbinden
Je mehr Gemeinden, Vereine und Betriebe sich beteiligen, desto stärker wird die Basis und Akzeptanz des Projekts. Das fördert echte Resonanz in der Bevölkerung. - Reiseerlebnisse mit Mehrwert gestalten
Baum pflanzen statt nur fotografieren, mit dem Rad statt dem Auto unterwegs sein, Workshops mit regionalen Produzenten: So wird das Publikum vom passiven Beobachter zum aktiven Mitgestalter. - Mitarbeitende schulen, Gäste informieren
Wer im Unternehmen tätig ist, sollte den regenerativen Ansatz nicht nur kennen, sondern auch leben. Kommunizieren Sie dies klar und anschaulich an Reisende – via Infomaterial, Social Media oder persönliche Gespräche. - Fortschritte messen und publik machen
Ob neu geschaffene Stellen, wachsende Vogelpopulationen oder erhöhte Waldfläche: Solche Kennzahlen sollten erfasst und nach außen kommuniziert werden – per Newsletter, Facebook, Instagram oder auf der eigenen Website. - Langfristig denken
Regeneration ist ein andauernder Prozess, kein einmaliger Akt. Setzen Sie mittel- und langfristige Ziele, überprüfen Sie regelmäßig den Erfolg und skalieren Sie das Projekt, sobald es gut etabliert ist.
Der Blick nach vorn: Zukunft des Regenerativen Tourismus
Es wird immer deutlicher, dass der regenerative Tourismus mehr als eine Modeerscheinung ist – er könnte sich als Notwendigkeit erweisen. Während Betriebe zunehmend Transparenz beweisen müssen und Reisende nach tiefergehenden, wertorientierten Erlebnissen suchen, hinterfragen Kritiker laute Massentourismusmodelle schärfer. In diesem Spannungsfeld bieten regenerative Konzepte eine glaubwürdige Alternative.
Angesichts steigender Klimarisiken und härterem Wettbewerb um das Vertrauen der Kund*innen, dürfte der regenerative Tourismus zum Schlüssel avancieren, um auch in Krisenzeiten robust zu bleiben. Dabei geht es um eine Branche, die nicht nur ihr eigenes Überleben sichert, sondern dazu beiträgt, eine global bessere Zukunft zu gestalten. Kurz gesagt: Der Wandel vom reinen „Nachhaltigkeitspatchwork“ hin zu regenerativen Ansätzen könnte für viele Betriebe ein entscheidender Erfolgsfaktor sein.
FAQ (Häufig gestellte Fragen)
- Was versteht man unter regenerativem Tourismus?
Ein Modell, bei dem Reisen nicht nur den Schaden minimiert, sondern aktiv die Natur und Gesellschaft vor Ort stärkt. Reisende, lokale Bevölkerung und Tourismusbetriebe ziehen an einem Strang, um positive Veränderungen zu erzeugen. - Wo liegt der Unterschied zum nachhaltigen Tourismus?
Nachhaltiger Tourismus versucht, negative Einflüsse zu reduzieren und ein gewisses Gleichgewicht zu erreichen. Regenerativer Tourismus setzt sich für eine Netto-Verbesserung ein – Orte sollen besser dastehen, als sie es zuvor waren. - Warum ist das für Betriebe in der Reisebranche interessant?
Wer regenerative Angebote entwickelt, kann sein Markenimage verbessern, neue Zielgruppen erreichen und die lokale Wirtschaft langfristig stabilisieren. Viele Reisende suchen nach authentischen Erlebnissen mit echtem Mehrwert. - Sind die Kosten für regenerative Konzepte nicht zu hoch?
Klar, ökologische Wiederherstellung oder Infrastrukturprojekte benötigen Startkapital. Allerdings gibt es häufig staatliche Förderungen, NGO-Unterstützung oder Crowdfunding-Optionen. Auf Dauer kann die daraus resultierende Alleinstellung den Umsatz steigern und Gästebindung festigen. - Was kann ich als Reisende*r beitragen?
Wählen Sie Unterkünfte und Touren, die aufzeigen, wie sie regenerativ arbeiten. Vor Ort können Sie aktiv mithelfen – etwa bei Pflanzaktionen oder durch den Einkauf bei lokalen Produzent*innen. Jede bewusste Entscheidung verstärkt den positiven Effekt.
Über Slow Travel Sweden
Slow Travel Sweden ist eine Non-Profit-Organisation, die sich dafür einsetzt, das Reisen bewusster und wirkungsvoller zu gestalten. Durch den Fokus auf „langsames“ Erleben und echte Beziehungen zu Menschen und Umwelt unterstützen wir Projekte, die sowohl der Natur als auch den Communities zugutekommen. Möchten Sie mehr erfahren oder kooperieren? Kontaktieren Sie uns unter info@slowtravel.se oder besuchen Sie www.slowtravel.se.
Weiterführende Quellen und Literatur
- Bellato, Loretta & Pollock, Anna (2023). „Regenerative Tourism: A State-of-the-Art Review.“ Journal of Sustainable Tourism, Vol. 31, Nr. 4, S. 567–589.
- GSTC (2023). „The Difference Between Regenerative Tourism and Sustainable Tourism.“ Global Sustainable Tourism Council.
- Regenesis Group (2023). „What Is Regenerative Development?“
- Visit Skåne (2023). „ReTour (Regenerative Tourism) – Skåne’s Initiative for Sustainable Growth.“
- Granö Beckasin (2023). „Sustainable and Regenerative Tourism Initiatives.“
- Gotland Green Tours (2023). „Sustainable Tourism Experiences on Gotland.“
- UNEP & UNWTO (2005). „Making Tourism More Sustainable – A Guide for Policy Makers.“